Die Kunst der Untätigkeit

Was passiert wenn ich einen Monat lang nichts mache?

In der Leistungsgesellschaft romantisieren wir die Idee vom Ausruhen, doch die tatsächliche Erfahrung ist oft nicht angenehm. Ganz im Gegenteil spült sie eine Vielzahl an Widerständen und Ängsten hervor. Warum es so wichtig ist, die Kunst der Untätigkeit wieder zu entdecken und meine persönliche Erfahrung aus fünf Wochen Auszeit und drei Wochen Kur.

Meine wichtigsten Erkenntnisse:

  • “Einfach sein” ist schwerer als “einfach machen”
  • Untätigkeit und Stille schenken uns Qualitäten und Einsichten, die das Handeln nicht vermag

Inhaltsverzeichnis

„Sowohl der Schlaf als auch die Langeweile sind Zustand der Untätigkeit. Der Schlaf ist der Höhepunkt der körperlichen Entspannung, während die Langeweile der Höhepunkt der geistigen Entspannung ist.“  Byung-Chul Han

Innere Unruhe und Rastlosigkeit

Am 29ten Juli stieg ich ins Flugzeug nach Sri Lanka, voller Vorfreude und mit großen Erwartungen. Ich hatte geplant erst 10 Tage surfen zu gehen und mich anschließend in einer 3-wöchigen ayurvedischen Panchakarma Kur zu entspannen und zu regenerieren. Die Vorstellung mich drei Wochen lang täglich massieren zu lassen war himmlisch.

Außerdem wollte ich mir Zeit nehmen, um einige Yoga-Fachbücher zu wälzen und mein Leben, besonders meine Selbstständigkeit zu reflektieren und nachzujustieren. Doch als ich nach 10 Tagen Yoga & Surfen im Ayurveda Resort ankam und vor meinem Zimmer saß, dachte ich nur: “Oh Gott, jetzt noch drei weitere Wochen nichts tun.

Ich erlebte unzählige Momente von Genuss und Dankbarkeit.

Ich kann aus vollem Herzen sagen: Das Essen war köstlich, das Resort wunderschön und die Massagen, wie erwartet, himmlisch. Für diejenigen von euch, die sich interessieren, ich war hier: https://www.lotus-villa.com

Und gleichzeitig war da diese andere Stimme in mir, der die Untätigkeit Angst machte. Ein innerer Anteil, der rastlos und getrieben war und mir ins Ohr flüsterte: 

  • “Was ich in drei Wochen alles erarbeiten könnte.”
  • “Was alle anderen in den drei Wochen schaffen.“
  • “Ich verliere den Anschluss!”
  • “Ich habe Angst, dass die anderen mich abhängen!”
  • “Ich vergeude meine Zeit.”
  • ”Ich sollte wenigstens etwas Kluges lesen.”
  • “Warum habe ich meinen Laptop nicht mitgenommen, dann könnte ich jetzt ein bisschen arbeiten.”
  • “Was mach ich nur hier? 3 Wochen rumsitzen, was soll mir das bringen?”

Die Geschichte, die ich mir erzählte, war, dass alle große Fortschritte machen würden, während ich drei Wochen völlig stehen blieb.

Es ist doch erstaunlich wie schwer es fällt und wie lange es dauert wirklich zur Ruhe zu kommen. Doch mit jedem Tag gelang es mir ein bisschen besser mich der Erfahrung hinzugeben und übte mich ganz bewusst in der Kunst der Untätigkeit und des Seins.

Begegnung in stiller Meditation

Wann immer die ängstliche und rastlose Stimme laut wurde, saß ich mit ihr in stiller Meditation.

Und wenn ich nur lange genug sitzen blieb, löste sie sich irgendwann auf und machte Raum für ein Gefühl inneren Friedens. Mit jedem Tag veränderte sich mein Verhältnis zu dieser inneren Stimme. Ich beobachtete sie, zunehmend erstaunt, manchmal entsetzt, als mir klar wurde, wie getrieben ich wirklich war.

Ich rannte im Hamsterrad, auch wenn dieses den Anstrich von Purpose Business und Spiritualität hatte. Das altbekannte Leistungsnarrativ im Gewand der Selbstverwirklichung.

Loslassen und Lauschen

Ich beschloss loszulassen. Ich legte alle meine Fachbücher und Reflexionsfragen zur Seite und öffnete mich der Frage: Was passiert wohl nach einem Monat Ruhe, Untätigkeit und Sein? Ein Experiment.

Ich lasse mich mit Öl begießen – von Kopf bis Fuß – und mit jedem warmen Tropfen der meine Haut berührt, werde ich weicher – außen wie innen. Jede Zelle meines Körpers vibriert, prickelt. Ich liege einfach nur da und nehme meine körperlichen Empfindungen war. Ich liege. Ich atme. Bilder steigen aus meinem Unterbewusstsein auf, ziehen an meinem inneren Auge vorbei und verpuffen. Ein Lufthauch streichelt meine Wange und der süßliche Ölduft steigt mir in die Nase.

Ich blicke in den Himmel und beobachte die Palmen im Wind. Ich spaziere langsam am Meer entlang und amüsiere mich über die vielen Krebse, die über meinen Weg huschen. Die Wellen streicheln meine Füße und die Luft schmeckt nach Meersalz. Ich sitze in der Yogashala und atme, eine Stunde lang, völlig regungslos, bis die Sonne im Meer versinkt und mich das Glöckchen zum Abendessen ruft. Ich schlafe, döse, träume. Die Stunden und Tage verstreichen und verschwimmen. Ich falle in ein Gefühl der absoluten Zeitlosigkeit, völlig frei von Produktivität und Zielgerichtetheit. Ich bin. Ich lausche. Und in meinem inneren öffnet sich eine Tür durch die eine sanfte Freude, Zufriedenheit und Dankbarkeit strömt.

Und aus dem Sein, der Stille, dem Lauschen, erhebt sich eine neue Stimme in mir. Stellt mir Fragen, schickt mir Bilder, die mich in eine neue Richtung lenken.

One Good Question

Denn ich möchte Dich einladen selbst die Qualität der Untätigkeit, des Lauschens, der Langeweile, des Seins zu erforschen und Dich gleichzeitig zu fragen: 

  • Welche Stimmen werden laut wenn Du untätig bist?
  • Wie sehr bist du darauf ausgerichtet (dich) zu produzieren?
  • Wie erlebst Du Langeweile?
  • Wann hast Du das letzte Mal gelauscht? Und Dich durch die Erfahrung verwandelt?

One Good Quote: Byung-Chul Han

Sowohl der Schlaf als auch die Langeweile sind Zustand der Untätigkeit. Der Schlaf ist der Höhepunkt der körperlichen Entspannung, während die Langeweile der Höhepunkt der geistigen Entspannung ist. Benjamin [Das Passagen-Werk, S.161] bezeichnet die Langeweile als “ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist” und in das “wir uns wickeln, wenn wir träumen”. Sie ist der “Traumvogel”, der”das Ei der Erfahrung ausbrütet”. Seine Nester verfallen aber zusehends. Dadurch geht die “Gabe des Lauschens” verloren.

Die Erfahrung im emphatischen Sinne ist kein Resultat von Arbeit und Leistung. Sie lässt sich nicht durch Tätigkeit erstellen. Vielmehr setzt sie eine besondere Form von Passivität und Untätigkeit voraus: “Mit etwas, sei es ein Ding, ein Mensch, ein Gott, eine Erfahrung machen heißt, dass es uns widerfährt, dass es uns trifft, über uns kommt, uns umwirft und verwandelt.” Die Erfahrung beruht auf Gabe und Empfang. Ihr Medium ist das Lauschen. Der gegenwärtige Informations- und Kommunikationslärm setzt aber der “Gesellschaft der Lauschenden” ein Ende. Niemand lauscht. Jeder produziert sich.

Untätigkeiten sind zeitintensiv. Sie erfordern eine lange Weile, ein intensives, kontemplatives Verweilen. Sie sind rar in einer Epoche der Eile, in der alles so kurzfristig, kurzatmig und kurzsichtig geworden ist. Heute setzt sich überall die konsumistische Lebensform durch, in der jedes Bedürfnis sofort zu befriedigen ist. Wir haben keine Geduld zu Warten, in dem etwas langsam reifen könnte.

Was zählt, ist allein die kurzfristige Wirkung, der schnelle Erfolg. Handlungen verkürzen sich zu Reaktionen. Erfahrungen verdünnen sich zu Erlebnissen. Gefühle verarmen zu Emotionen oder Affekten. Wir haben keinen Zugang zur Wirklichkeit, die sich allein einer kontemplativen Aufmerksamkeit erschließt.

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